Die Praxisgebühr wurde mit dem Jahreswechsel abgeschafft. Eine Begründung: Sie habe ihren Zweck nicht erfüllt, nämlich die Zahl unnötiger Arztbesuche zu reduzieren. Das stimmt. Doch das liegt schlicht daran, dass die Praxisgebühr falsch konzipiert war. Statt sie abzuschaffen hätte man sie verbessern müssen.
Wie sah die Praxisgebühr aus und was war ihr Zweck?
Die Praxisgebühr war für viele Bürger ein großes Ärgernis. Die Praxisgebühr fiel bei jedem Erstkontakt einmal im Quartal an. Bei Überweisungen vom Hausarzt fielen bei Fachärzten keine weiteren Gebühren an, außer beim Zahnarzt, bei dem eine separate Praxisgebühr zu zahlen war. Präventivleistungen waren von der Praxisgebühr ebenso befreit wie Menschen, die noch nicht volljährig sind. Außerdem war die Höchstbelastung gedeckelt.
Ziele der Praxisgebühr waren unter anderem eine Entlastung der Beitrags- und Steuerzahler, eine Begrenzung von Arztbesuchen bei kleineren Erkältungen und Beschwerden, sowie eine bessere Versorgung von ernsthaften Erkrankungen.
Wie oft gehen die Deutschen zum Arzt?
Laut einer Untersuchung des Zentralinstitus für die Kassenärztliche Versorgung in Deutschland (ZI) gehen die Deutschen im Schnitt siebzehnmal pro Jahr zum Arzt – Männer vierzehnmal und Frauen zwanzigmal. Ältere Menschen nehmen deutlich häufiger ärztliche Hilfe in Anspruch als jüngere. Dabei sind für die Hälfte aller Arztkontakte nur 16 Prozent der Versicherten verantwortlich. Ein Fünftel der Versicherten verursacht vier Fünftel der Kosten.
Im internationalen Vergleich gehen die Deutschen häufiger zum Arzt als der Durchschnitt. Arbeitslose gehen etwa doppelt so oft zum Arzt wie ihre arbeitenden Altersgenossen. Ob Arbeitslosigkeit krank macht oder andere Gründe eine Rolle spielen kann hier nicht beantwortet werden.
Wie hat sich die Praxisgebühr ausgewirkt?
Die Praxisgebühr hat eine geringe Steuerungswirkung entfaltet. Die Fallzahlen sind leicht gesunken und somit haben die Ärzte mehr Zeit für Menschen, die richtig krank sind. Vor allem jüngere Menschen gehen seltener mit minderschweren Erkrankungen zum Mediziner.
Warum hat die Praxisgebühr ihre Wirkung weitgehend verfehlt?
Die relativ geringe Steuerungswirkung der Praxisgebühr lässt sich durch ihren Flatratecharakter begründen, sobald die Praxisgebühr einmal im Quartal bezahlt wurde, kann man immer wieder zum Arzt gehen, ohne nochmals zahlen zu müssen. Dadurch entsteht ein psychologischer Effekt, wer einmal gezahlt hat, möchte auch davon profitieren.
Daher forderten Politiker schon vor zwei Jahren eine Umstellung auf eine Praxisgebühr pro Arztbesuch, wie sie etwa in Schweden üblich ist. Damit würden die Bürger Anreize erhalten, bei geringfügigen Erkrankungen nicht so schnell zum Arzt zu gehen und sich mehr um den Erhalt ihrer Gesundheit zu kümmern, zum Beispiel durch Präventionsmaßnahmen. Außerdem könnte man mit der Gerechtigkeit argumentieren; wer Leistungen in Anspruch nimmt und dadurch Kosten verursacht, sollte zumindest an den verursachten Kosten beteiligt werden.
Wie wirkt die Abschaffung der Praxisgebühr?
Über die Abschaffung der Praxisgebühr wurde seit Monaten diskutiert. Argumentiert wird mit den derzeitigen Milliardenüberschüssen der Krankenkassen. Und: Mit der Abschaffung möchten die Politiker den Bürgern ein Ärgernis abnehmen und sie entlasten. So ist es nun ja auch gekommen – die Gebühr ist weg. Doch damit wird genau das Gegenteil bewirkt, argumentiert Dorothea Siems. Es sei ein Unterschied, ob man durch eine Senkung der Steuern oder Abgaben die Steuerzahler entlastet oder ob man Leistungsempfänger von der Kostenbeteiligung befreit. Außerdem seien Entlastungen der Leistungsempfänger von heute, die Beitragserhöhungen von morgen.
Zuzahlungen gibt es auch bei Medikamenten und Krankenhausaufenthalten – auch hier mit nur geringer Steuerungswirkung. Aber aus den Zuzahlungen generieren die Krankenkassen Einnahmen und dadurch werden die Beitragszahler entlastet. Ebenso wie im Renten- oder Pflegesystem werden die älteren Bürger von den jüngeren im Gesundheitssystem alimentiert.
Aufgrund des demographischen Wandels werden die Kosten in diesen Systemen in den kommenden Jahren weiterhin zunehmen. Eine Abschaffung der Praxisgebühr würde diesen Transfer zwischen den Generationen noch weiter ansteigen lassen – und außerdem den Transfer zwischen den Geschlechtern.
Wie wirkt eine anreizgenaue Praxisgebühr?
In Schweden müssen die Bürger bei jedem Arztbesuch eine Zuzahlung leisten – und das obwohl sich Schweden einen noch ausgedehnteren Wohlfahrtsstaat leistet als Deutschland. Da die ärztliche Versorgung in Schweden kommunal geregelt ist, werden pro Arztbesuch zwischen 15 und 25 Euro fällig. Allerdings gibt es auch eine Höchstgrenze, diese beträgt etwa in Stockholm 100 Euro. So sollen unnötige Arztbesuche vermieden, Kosten gesenkt und die ärztliche Versorgung für schwer Kranke verbessert werden.
Die Schweden gehen deutlich seltener zum Arzt, bei etwa gleicher Arztdichte und höherer Lebenserwartung als in Deutschland. Auch in anderen Ländern fällt eine Selbstbeteiligung pro Arztbesuch an und diese ist oft wesentlich höher als in Deutschland pro Quartal.
Zusammenfassung
Um eine Lenkungswirkung durch die Praxisgebühr zu erzielen, muss diese nicht unbedingt höher sein, am wichtigsten ist, dass sie pro Arztbesuch anfällt. Sinnvoll wäre z.B. eine Zahlung von erst mal drei Euro pro Arztbesuch. Dabei könnten reine Prophylaxemaßnahmen weiterhin freigestellt bleiben. Auch gegen eine soziale Härtefallregelung spricht wenig, so könnten etwa chronisch Kranke oder Unfallopfer von zu hohen Lasten verschont werden. Ein weiterer Ansatz wäre eine Reduktion oder gar Freistellung von der Praxisgebühr mit wahrgenommenen Prophylaxemaßnahmen zu verbinden. Damit könnten Anreize gesetzt werden, um bestimmte erwünschte Verhaltensweisen zu fördern, zum Beispiel Impfungen, gesunde Ernährung.
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